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Bestimmung einer beliebigen Wahrscheinlichkeit

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Wahrscheinlichkeitsmaß

Zufallsvariablen

Tags: Wahrscheinlichkeitsmaß, Zufallsvariablen

 
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Klausi123

Klausi123 aktiv_icon

12:54 Uhr, 09.01.2021

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Hallo Zusammen,

meine Fragen beziehen sich nicht auf eine bestimmte Aufgabe, sondern ganz allgemein auf das Konzept der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Ich versuche mein recht geringes aber dafür stark fragmentiertes Wissen über die Wahrscheinlichkeitsrechnung zu erweitern und außerdem die Zusammenhänge verschiedener Konzepte zu verstehen.

Soweit ich es verstanden habe, ist eine Zufallsvariable eine Zuordnungsfunktion, die jedem möglichen Ergebnis meines Zufallsexperiments einen bestimmten Zahlenwert zuordnet. Dementsprechend extrahiert eine von mir definierte Zufallsvariable bestimmte Informationen aus einem Zufallsexperiment, die für mich von Interesse sind. Eine Zufallsvariable wird also somit je nach Fragestellung definiert. Darüber hinaus besitzen Zufallsvariablen Wahrscheinlichkeitsfunktionen (bzw. Dichtefunktionen). Diese ordnen dann jedem Wert der Zufallsvariable eine bestimmte Eintrittswahrscheinlichkeit (im Falle der Wahrscheinlichkeitsfunktion) bzw. ein Wahrscheinlichkeitsintervall (im Falle der Dichtefunktion) zu. Bitte korrigiert mich, falls ich schon jetzt Schwachsinn geschrieben habe.

Nun zu meinen Fragen: Häufig wird einfach von der Wahrscheinlichkeitsverteilung einer Zufallsvariable gesprochen. Mir ist dabei nie klar, ob es sich um die Wahrscheinlichkeitsfunktion (bzw. Dichtefunktion) oder die Verteilungsfunktion handelt. Vielleicht kann mich hier jemand aufklären.

Die folgende Frage mag etwas seltsam wirken: Wie genau ergibt sich überhaupt die Wahrscheinlichkeitsfunktion bzw. die Verteilungsfunktion einer Zufallsvariable? Wenn ich ein Zufallsexperiment habe und eine bestimmte Zufallsvariable definiere, woher weiß ich denn, welche Wahrscheinlichkeitsfunktion die Zufallsvariable besitzt?
Ich nehme an, dass es eine "unendliche Menge" möglicher Wahrscheinlichkeitsfunktionen gibt und die in den Fachbüchern angegebenen Funktionen wie Bernoulliverteilung, Gleichverteilung etc. lediglich die "bekanntesten" sind? Oder lassen sich im Prinzip alle möglichen Zufallsexperimente mit diesen Wahrscheinlichkeitsfunktionen beschreiben?

Eine letzte Frage die sich mir im Zusammenhang mit der vorherigen Frage stellt ist, ob es eine Art Rezept gibt, mit der sich die Wahrscheinlichkeit für ein beliebiges Ereignis feststellen lässt. Angenommen ich stehe vor der Straße und möchte die Wahrscheinlichkeit ermitteln, dass die Farbe des nächsten vorbeifahrenden Autos rot ist oder ich möchte die Wahrscheinlichkeit ermitteln, dass der nächste Passant der an mir vorbeiläuft eine Frau ist. Gibt es hier eine Art Leitfaden mit identischen Schritten, die es für die Berechnung solcher x-beliebigen Wahrscheinlichkeiten zu befolgen gilt?


Danke für eure Hilfe und ein schönes Wochenende

Für alle, die mir helfen möchten (automatisch von OnlineMathe generiert):
"Ich möchte die Lösung in Zusammenarbeit mit anderen erstellen."
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DrBoogie

DrBoogie aktiv_icon

15:05 Uhr, 09.01.2021

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Zuerst einmal muss man zwischen diskreten und stetigen Zufallsvariablen unterscheiden, denn sie sind zwar verwandt, aber erfordern jeweils anderes Instrumentarium inkl. Definitionen.

"Nun zu meinen Fragen: Häufig wird einfach von der Wahrscheinlichkeitsverteilung einer Zufallsvariable gesprochen."

Im diskreten Fall wird dabei normalerweise einfach die Zuordnung "Wert -> seine W-keit" gemeint. Wenn wir z.B. eine binomialverteilte ZV mit n=3 und p=0.5 haben, dann ist Wahrscheinlichkeitsverteilung P(X=0)=0.53,P(X=1)=30.53,P(X=2)=30.53,P(X=3)=0.53.
Im stetigen Fall kann man das nicht machen, weil einzelne Werte W-keit 0 haben, deshalb nutzt man die Dichte. Wenn f die Dichte ist, dann haben P(XA)=Af(x)dx für alle "anständige" Mengen A. Diese Zuordnung AP(XA) ist die Wahrscheinlichkeitsverteilung im stetigen Fall.
Im allgemeinen Fall hat man auch keine Dichte, sondern nur eine Verteilungsfunktion.
Über diese kann man wieder die Zuordnung AP(XA) herstellen, das ist allerdings schwieriger, daher lasse ich das. Diese Zuordnung ist wieder die Wahrscheinlichkeitsverteilung.

Allerdings ist W-keitstheorie dadurch gekennzeichnet, dass die Begriffe oft eher salopp und nicht besonders stringent benutzt werden, daher kann man nicht selten den Fall treffen, das z.B. die Dichte gemeint ist, aber Wahrscheinlichkeitsverteilung gesagt wird.

"Die folgende Frage mag etwas seltsam wirken: Wie genau ergibt sich überhaupt die Wahrscheinlichkeitsfunktion bzw. die Verteilungsfunktion einer Zufallsvariable?"

Es gibt drei mögliche Fälle.
1. Wir haben volle Kontrolle über das Experiment und verstehen es sehr gut. Wenn wir z.B. einen fairen Würfen werfen und unsere ZV die Augenzahl ist, dann haben wir klar die Verteilung P(X=1)=...=P(X=6)=1/6.
2. Wir wissen aus Erfahrung, dass die Zufallsvariable sich zumindest ungefähr wie eine ZV aus einer bestimmten Klasse verhalten muss. Z.B. wissen wir, das sogenannte seltene Ereignisse sich gut mit der Poisson-Verteilung modellieren lassen. In diesem Fall wird die tatsächliche Verteilung vermutlich von der "idealen" abweichen, aber meistens nicht stark.
3. Wir haben zu wenig Erfahrung, um eine passende ZV einigermaßen sicher auszuwählen. Man kann aber experementieren, "zocken" usw., je nach Hintergrund der Frage. Der Aktienmarkt ist voll von solchen ZV. :-)


"Ich nehme an, dass es eine "unendliche Menge" möglicher Wahrscheinlichkeitsfunktionen gibt und die in den Fachbüchern angegebenen Funktionen wie Bernoulliverteilung, Gleichverteilung etc. lediglich die "bekanntesten" sind?"

Die bekanntesten Klassen sind ja deswegen so bekannt, dass man mit ihnen relativ viele Prozesse des realen Lebens relativ gut beschreiben kann.
Aber wie bei jeder Modellierung gibt's hier trade-off zwischen der Genauigkeit des Modells und deren Komplexität. Sehr komplexe Modelle haben wenig Chancen benutzt zu werden, auch wenn sie sehr genau sind.

"Oder lassen sich im Prinzip alle möglichen Zufallsexperimente mit diesen Wahrscheinlichkeitsfunktionen beschreiben?"

Definitiv nicht.

"Eine letzte Frage die sich mir im Zusammenhang mit der vorherigen Frage stellt ist, ob es eine Art Rezept gibt, mit der sich die Wahrscheinlichkeit für ein beliebiges Ereignis feststellen lässt."

Jein. Wenn du das Experiment sehr oft wiederholen kannst, dann wirst du W-keiten haben. Oder wenn du das Experiment sehr gut verstehen kannst (so wie beim Würfel). Aber allgemein sind zufällige Ereignisse oft viel zu komplex und viel zu einzigartig.
Sonst würden wir ja längst perfekte Wettervorhersagen für Monate im Voraus haben. :-)

"Angenommen ich stehe vor der Straße und möchte die Wahrscheinlichkeit ermitteln, dass die Farbe des nächsten vorbeifahrenden Autos rot ist oder ich möchte die Wahrscheinlichkeit ermitteln, dass der nächste Passant der an mir vorbeiläuft eine Frau ist."

Du kannst den Anteil der Frauen in deiner Stadt rausfinden und diesen als den Schätzwert für die besagte W-keit nutzen. Oder den Anteil der zugelassenen roten Autos (das wird schwer, aber vielleicht hast du Freunde beim Zulassungsamt).
Aber wenn du es genauer machen willst, wird es nicht gehen. Es sei denn, du bist ein Genie und erfindest eine neue Theorie. :-)
Klausi123

Klausi123 aktiv_icon

10:49 Uhr, 10.01.2021

Antworten
Vielen Dank für deine ausführliche und hilfreiche Antwort, dass weiß ich sehr zu schätzen.

"Es gibt drei mögliche Fälle."
Heißt das, dass die Wahrscheinlichkeitsverteilung einer ZV immer nur eine Annahme darstellt? Im simplen Fall des Würfelwurfs nehmen wir also an, dass die ZV gleichverteilt ist. Führen wir den Wurf häufig auf, sehen wir unsere Annahme bestätigt und halten fest, dass die ZV einer Gleichverteilung folgt. Eine Anschlussfrage, die sich für mich daraus ergibt: Dem Gesetz der großen Zahlen zufolge nähern sich bei einem Zufallsexperiment, mit zunehmenden n, die theoretischen Wahrscheinlichkeiten an die relativen Häufigkeiten an. Theoretisch müsste man das Zufallsexperiment welches der ZV zugrunde liegt also sehr häufig ausführen (auch wenn es in der Praxis vermutlich oft nicht möglich sein wird), um eine recht genaue Schätzung der Wahrscheinlichkeitsverteilung zu erhalten oder sehe ich das falsch?
Mag vielleicht auch kompletter Blödsinn sein aber ist es letztendlich nicht so, dass man versucht eine Funktion zu finden, die das Verhalten der ZV möglichst fehlerfrei beschreibt? Ähnlich wie wir bei einer Regressionsanalyse eine Funktion suchen, die den Einfluss von X auf Y möglichst gut beschreibt (nur das wir dort natürlich weniger vom Zufall ausgehen sondern von einem gerichteten Einfluss)

Mir fällt es nämlich mitunter schwer die Brücke zwischen der Deskriptiven Welt und der Wahrscheinlichkeitsrechnung zu schlagen aber nehmen wir einmal an, ich habe die erforderlichen Daten für meine zwei Beispiele (Anzahl Zulassungen roter Autos und Anteil Frauen in meiner Stadt) vorliegen. Wäre, die stark vereinfachte Vorgehensweise, dann in etwa: ZV definieren (nächstes Auto ist rot ja/nein) Annahme über Verteilung der ZV treffen Mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitsfunktion und der Daten die entsprechende Wahrscheinlichkeit ermitteln.

Nochmals vielen Dank für deine Hilfe!
Antwort
DrBoogie

DrBoogie aktiv_icon

11:09 Uhr, 10.01.2021

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"Heißt das, dass die Wahrscheinlichkeitsverteilung einer ZV immer nur eine Annahme darstellt?"

Ja, wenn es darum geht reale Prozesse in der realen Welt darzustellen, dann ist es nur eine Annahme. Oder besser gesagt, ein Modell.
Das ist eine grundsätzliche Tatsache, die leider weder in der Schule noch sonst wo genügend erklärt wird (zumindest aus meiner Sicht) - wir (Menschen) können die Welt weder komplett verstehen noch perfekt beschreiben. Was wir können und was wir seit Ewigkeiten tun, ist Modelle aufstellen. Vereinfachte Modelle der realen Welt, die einfach genug sind, damit wir mit ihnen arbeiten können, und komplex genug, um damit die Welt gut zu beschreiben. Im Laufe der Zeit werden unsere Modelle komplexer, weil einfach unsere Berechnungsmöglichkeiten immer steigen. Diese Herangehensweise ist universell für alle Naturwissenschaften - Physik, Chemie, Biologie usw. Und auch für die angewandte Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik.
Irreführenderweise nennen wir oft unsere Modelle "Gesetz". So wie Gesetz der Gravitation, Mendels Gesetze der Vererbung usw. Das sind aber immer nur Modelle. Gesetze können wir nicht kennen, wir können nicht mal sicher sein, dass Gesetze existieren.


"Im simplen Fall des Würfelwurfs nehmen wir also an, dass die ZV gleichverteilt ist. Führen wir den Wurf häufig auf, sehen wir unsere Annahme bestätigt und halten fest, dass die ZV einer Gleichverteilung folgt."

Ja, das ist Vorgehensweise.

"Eine Anschlussfrage, die sich für mich daraus ergibt: Dem Gesetz der großen Zahlen zufolge nähern sich bei einem Zufallsexperiment, mit zunehmenden n, die theoretischen Wahrscheinlichkeiten an die relativen Häufigkeiten an. Theoretisch müsste man das Zufallsexperiment welches der ZV zugrunde liegt also sehr häufig ausführen (auch wenn es in der Praxis vermutlich oft nicht möglich sein wird), um eine recht genaue Schätzung der Wahrscheinlichkeitsverteilung zu erhalten oder sehe ich das falsch?"

Das Problem an der Stelle ist, dass man nicht von vornherein abschätzen kann, wie häufig das Experiment wiederholt werden muss. Und natürlich braucht man immer dieselben Bedingungen für das Experiment, was total unrealistisch ist - sogar beim Würfelwurf.

Mises hatte übrigens vor 100 Jahren versucht, die ganze Wahrscheinlichkeitstheorie auf dieser Grundlage aufzubauen. Dann kam aber Kolmogorov. Die Konzeption von Kolmogorov (Wahrscheinlichkeitstheorie auf Maßtheorie aufzubauen) hat deshalb gesiegt, weil sie rechnerisch viele Vorteile bietet. Aber die Brücke zu der realen Welt wird durch sie nicht stabiler. :-)

"Mag vielleicht auch kompletter Blödsinn sein aber ist es letztendlich nicht so, dass man versucht eine Funktion zu finden, die das Verhalten der ZV möglichst fehlerfrei beschreibt? Ähnlich wie wir bei einer Regressionsanalyse eine Funktion suchen, die den Einfluss von X auf Y möglichst gut beschreibt (nur das wir dort natürlich weniger vom Zufall ausgehen sondern von einem gerichteten Einfluss)"

Ja, wir versuchen ein gutes Modell aufzustellen, wie immer.

"Mir fällt es nämlich mitunter schwer die Brücke zwischen der Deskriptiven Welt und der Wahrscheinlichkeitsrechnung zu schlagen"

Das ist normal. Diese Brücke liefert übrigens Statistik. Da gibt's viele Methoden, die abzuschätzen helfen, wie gut die Brücke im konkreten Fall funktioniert.

"aber nehmen wir einmal an, ich habe die erforderlichen Daten für meine zwei Beispiele (Anzahl Zulassungen roter Autos und Anteil Frauen in meiner Stadt) vorliegen. Wäre, die stark vereinfachte Vorgehensweise, dann in etwa: ZV definieren (nächstes Auto ist rot ja/nein) → Annahme über Verteilung der ZV treffen → Mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitsfunktion und der Daten die entsprechende Wahrscheinlichkeit ermitteln."

Ja, so ungefähr. Wie schon gesagt, Statistik kann dabei helfen, solche Fragen zu untersuchen. Es gibt z.B. Tests, um zu prüfen, ob ein konkreter Datensatz mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeitsverteilung beschrieben werden kann usw.
Frage beantwortet
Klausi123

Klausi123 aktiv_icon

11:56 Uhr, 11.01.2021

Antworten
Du hast mir wirklich sehr weitergeholfen, vielen Dank :-)